Das ist das Leben in der Stadt

Zum 50. Todestag von Theodor W. Adorno

Der Sozialphilosoph Theodor W. Adorno (1903-1969) wird heute nicht mehr viel gelesen. Wer überhaupt seine Schriften kennt, hält sie für unverständlich und ihn für arrogant. Kaum vorstellbar, dass er in den 1960er Jahren ein bundesdeutscher Topintellektueller war, fast schon ein Modephilosoph. Wenn man damals in Frankreich »Die Ordnung der Dinge« von Michel Foucault (das ist mal ein kryptisches Buch!) als heitere Strandlektüre einpackte, so war Adorno der Star der Edition Suhrkamp und Pflichtlektüre für alle beatles- und/oder rollingstonesinteressierten Genossinnen und Genossen - auch wenn »TWA«, wie ihn seine Ehefrau Gretel Adorno nannte, der größte Feind jedweder Form der Kulturindustrie und ihrer Hervorbringungen war. Trotzdem funkte Adorno auf allen Kanälen, sprach im Radio, diskutierte im Fernsehen, veröffentlichte Aufsätze in den Feuilletons und korrespondierte mit seinen Lesern. Seine Vorlesungen an der Goethe-Universität waren schon die Art von Massenveranstaltung, wie sie erst Ende der 70er Jahre zur Regel wurden.

Das Erstaunlichste aber war, dass Adorno solche Erfolge als Marxist hatte. Marxistische Professoren waren in der postfaschistischen BRD, im Adenauer-Staat, kaum existent - fast so wie heute. Es gab damals Wolfgang Abendroth in Marburg und Ernst Bloch in Tübingen, die nur deshalb geduldet waren, weil sie die DDR verlassen hatten. Und es gab die Freunde und Holocaust-Überlebenden Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die mit ihrem Institut für Sozialforschung aus dem Exil in den USA nach Frankfurt zurückgekehrt waren. Ihre Kritische Theorie war eine Chiffre für einen freudianisch aufgeklärten Marxismus, entwickelt in der Weimarer Republik und gedacht als ein Dialogangebot für Politiker der Arbeiterbewegung, an denen diese Denkansätze aufgrund stalinistischer und anderer Verblendungen aber vorbeiliefen. »Für den Verfall der Arbeiterbewegung spricht der offizielle Optimismus ihrer Anhänger« lautet ein bekanntes Adorno-Zitat. Über die politischen und ökonomischen Schwierigkeiten kann man sich noch immer sehr gut in Adornos Aufsatz »Reflexionen zur Klassentheorie« (geschrieben 1942) informieren. Und natürlich in der »Dialektik der Aufklärung«, diesem sagenumwobenen, gemeinsam mit Horkheimer verfassten Gemeinschaftswerk von 1944, das die Idee der befreiten Gesellschaft auf eine punkähnliche Art und Weise zu retten sucht.

Zurückgekehrt ins Land seiner Verfolger, beschäftigte sich Adorno mit den gesellschaftlichen Bedingungen »nach Auschwitz«. Mangels politischer Adressaten setzte er in einer Gesellschaft, in der die Kommunistische Partei erneut verboten worden war und in der die SPD nichts mehr fürchtete, als dass sie für links gehalten werden könnte (eine weitere Parallele zur Gegenwart), auf die Förderung der individuellen Reflexion, um die Gesellschaft sozusagen über sich selbst aufzuklären - »den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann«.

Damit man darüber auch nachdenkt, weil man tatsächlich etwas verstehen will, formulierte Adorno besonders kunstvoll, was ihm von Ignoranten als abweisend ausgelegt wurde. Demgegenüber muss man sich Adorno, diesen »nonkonformistischen Intellektuellen« (Alex Demirovic) als freundlichen Menschen vorstellen. So wunderte sich sein Kollege, der Anthropologe Helmuth Plessner, dass Adorno mitten in der Stadt wohnte, in einer Mietwohnung gegenüber der Universität, nahe dem Institut für Sozialforschung. Das war damals für einen Professor völlig unüblich. »Das ist das Leben in der Stadt, was soll daran schlecht sein?«, formulierte später ein anderer wichtiger Philosoph namens Rio Reiser.

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